Wir lernten uns am Bühnenrand kennen. Ich hatte gerade meinen Vortrag gehalten und Andreas bereitete sich darauf vor, auf die Bühne zu gehen und die Zuhörer mit seiner Geschichte zu inspirieren. Wir hatten sofort eine gute Verbindung – wie das mit manchen Menschen eben so ist. Obwohl wir uns nicht kannten, begannen wir schnell über Dinge zu sprechen, die uns persönlich bewegten.
„ Wenn ich Junkie das schaffe, dann könnt ihr das schon zweimal.“
Mit diesem Satz hatte Andreas gleich die volle Aufmerksamkeit des Publikums. Wie bitte? Dieser vor Kraft strotzende Mann, der vermutlich 99% seiner Altersgenossen sportlich locker in die Hosentasche steckt – ein Junkie?
Die Geschichte von Andreas Niedrig handelt von den Sehnsüchten und Kämpfen eines jungen Menschen, der seinen Platz in dieser Welt sucht; vom unachtsamem Verhalten erwachsener Bezugspersonen, eigenen unweisen Entscheidungen und der vermeintlichen Geborgenheit in einer Gruppe Gleichgesinnter verbunden mit immer härten Drogen. Suchtmittel werden in seinem Leben zu einer Kraft, die ihm anfänglich Halt geben und schon bald schrittweise sein Leben zerstören.
Wer Andreas zuhört oder seine Biographie „Vom Junkie zum Ironman“ liest, wird Zeuge davon, wie mit seiner Frau Sabine und seiner Tochter Jana eine andere Kraft in sein Leben kommt: Liebe. Die Chance, Liebe zu geben und Liebe zu empfangen, rettet ihm das Leben.
Gleichzeitig erfährt man, wie lange es Andreas nicht gelingt, aus seinem Teufelskreis auszusteigen. Es fällt schwer, sich vorzustellen, welche Tiefpunkte ein Mensch erreichen kann — und dass selbst dann die Talfahrt nicht zu Ende ist. Seine Frau reicht die Scheidung ein, die Drogenbeschaffung wird zunehmend schwieriger und krimineller (falls man das Wort kriminell überhaupt steigern kann). Erst als er wirklich ganz unten ist, kommt die Wende.
Im zweiten Teil seine Biographie berichtet Andreas Niedrig, wie er die Beziehung zu seiner Frau und seiner Tochter wiederfindet, ins Berufsleben zurückkehrt und seine Leidenschaft für Triathlon entdeckt. Innerhalb weniger Jahre steigt er als Triathlet in die Weltspitze auf.
Mit Blick auf seine Erfahrungen schreibt er: „Vielleicht bin ich heute gesünder an Herz und Seele und kräftiger in meiner körperlichen Leistungsfähigkeit, als ich es ohne diese Erfahrungen jemals geworden wäre.“
Andreas Niedrig meisterte nicht nur seinen eigenen Neuanfang. Indem er seine Geschichte bei Veranstaltungen und in Schulklassen erzählt, sensibilisiert er seine Zuhörer für die eigenen Gefahren und gleichzeitig für ihr eigenes Potenzial. Und manch einer, der den Worten von Andreas aufmerksam folgt, beginnt anschließend selbst wieder Sport zu machen.
Ähnliche Geschichten kannte ich ja bereits aus Filmen. Einen vor Leben übersprudelnden Menschen direkt zu erleben, der leidenschaftlich etwas von diesem Leben weitergibt, das er nach eigener Aussage „zurückgeschenkt“ bekommen hat, war für mich eine besondere Erfahrung.
Nach der gemeinsamem Vortragsveranstaltung tauschten wir noch kurz unsere Kontakte aus, dann ging jeder wieder seines Weges. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass sich unsere Wege wieder kreuzen werden …
Andreas Geschichte hinterlässt bei mir zweierlei: die Frage, welche Veränderung ich selbst angehen will. Und gleichzeitig Mut, meine Herausforderungen zu meistern.